Frühgeschichte
DIE ENTWICKLUNG DER FORENSISCHEN ZAHNMEDIZIN UND DER FORENSISCHEN MEDIZIN
Ein Rückblick von Klaus Rötzscher, Speyer.
Karl Sudhofff schreibt 1964: In der Urgesellschaft stehen Not, Helfensdrang und Zusammenhörigkeitsgefühl der Sippe an der Wiege der Heilkunst.
In den sich entwickelnden kleineren und großen Staaten des alten Orients zeigt sich in den Hieroglyphen, dass dem Mund und den Zähnen bereits die nötige Beachtung geschenkt wurde. Das wertvollste Belegstück Altägyptens ist der Edwin Smith – Papyrus aus dem 17.Jh AC. Was von Zahnersatz und Zahnstützwerk gefunden wird zählt zu den Wunderwerken der antiken Metalltechnik.
Über die Zahnpflege im Zwischenstromland Mesopotamien sind wir nur wenig unterrichtet. Umso klarer sehen wir aus dem kurz nach 2.000 AC erlassenen für Babylon und Assyrien geltenden CODEX CHAMURAPI die Bedeutung, die guten Gebissen beigemessen wurde:
§ 200 „Wenn jemand die Zähne eines anderen seinesgleichen herausschlägt, so soll man seine Zähne herausschlagen.“
§ 201 „Wenn er die Zähne eines Freigelassenen ausgeschlagen hat, so soll er ½ Mine Silber zahlen.“
China besaß wie auch Ägypten und das Zwischenstromland eine beachtenswerte Kultur, die Indien und Arabien beeinflusste. Bücher über die Zahnheilkunde aus China existieren, sind aber bisher nicht veröffentlicht
Das jüdische Gesetz wertet, wie auch das babylonische die Beschädigung des Zahnes gleich der des Auges – Auge um Auge – Zahn um Zahn (Talmud, Gesetzbuch der nachchristlichen Juden, 1. – 5. Jh PC). Bei dem „eingesetzten Zahn“ im Talmud handelt es sich um kosmetischen Ersatz und wird unter den „weiblichen Schmucksachen“ abgehandelt. Angefertigt wird der künstliche Zahn vom Handwerker, hat also mit Ärztlichem nichts zu tun.
Das erste Zahnersatzwerk, auf welches wir in Phönizien stoßen, stammt aus dem Grab von Saida: zwei mit Golddraht aneinander gebundene rechte Schneidezähne, am Zahnhals der Nachbarzähne durch Golddrahtschlingen festgehalten.
Bei den Griechen, wo keine Sonderung der verschiedenen Zweige der Arzneikunst statt hatte, gab es nachweislich auch keinen Zahnersatz. Die Behandlungsmethoden des Hippokrates, Archigenes, Celsus und Galenus sind herausragend gewesen.
In den ersten Gesetzen Roms, etwa 450 AC niedergeschrieben, ist die Rede von Goldbändern, mit denen Zähne aneinadergebunden wurden. Eine der 12 Tafeln (302 nach der Erbauung Roms) sagte: „Werfet kein Gold auf die Scheiterhaufen, auf denen Leichname verbrannt werden, doch könnt ihr den Verstorbenen mit dem Gold verbrennen, das seine Zähne befestigt, ohne das Gesetz zu verletzen“.
Die alte römische Medizin war religiös-magisch. Die ersten Ärzte waren Sklaven, Freigelassene oder Abenteurer. Auch unter Aeneas gab es heilkundige Soldaten und Offiziere, die nur gelegentlich heilten, sonst aber kämpfende Soldaten waren. Oscar Amoedo schreibt in seinem Buch „L´art dentaire en Médecine Legale“ 1960: Die 2 römischen Gesetze subsumieren die Verletzungen der Zähne unter den Begriff der Verletzungen im allgemeinen.
In Griechenland und in Rom finden sich keine Spuren ärztlicher Gutachtertätigkeit trotz seiner sonst so diffizilen Rechtsentwicklung und des hohen Standes seines ärztlichen Wissens. Der Untergang der griechischen und römischen Reiche führte zu einem starken Rückgang der Kultur und bewirkte einen Rückschritt der Medizin, dabei mindestens ebenso der Zahnheilkunde. Bis zur Zeitenwende hat es eine eigenständige Zahnheilkunde noch nicht gegeben. Erkennend, lehrend und ausübend war sie stets ein Teil der allgemeinen Heilkunde, die ihrerseits von Priestern oder einem sich vorwiegend aus der Priesterkaste entwickelten Ärztestand ausgeübt wurde.
Es waren die als Barbaren angesehenen germanischen Stämme der Salischen Franken, Alemannen, Goten, Vandalen u. a., die als erste die Heranziehung medizinischer Sachverständiger gesetzlich festlegten. Damit wandten sie sich gegen die bisherige Sitte der Blutrache und übertrugen dem Gemeinwesen auf diesem Gebiet eine gewisse Verantwortlichkeit. Die Medizin verfügte damals jedoch noch nicht über das nötige Rüstzeug, um diesem Erfordernis gerecht zu werden. Von zahnärztlicher Therapie wissen wir nichts in der keltisch-germanischen Frühgeschichte.
Die Kodifizierung der Rechtsgewohnheiten erfolgte in der Reihe, wie die einzelnen Stämme römischen Boden betraten: Zuerst bei den Westgoten unter EURICH (466–488), dann bei den Burgundern unter GUNDOBAD (474–516), dem rechtsgelehrtesten unter den germanischen Fürsten. Im 6. Jh folgten die Salfranken und die ribuarischen Franken.
In der ersten Hälfte des 7. Jh. entstehen die Anfänge des langobardischen und alemannischen Rechtes, der Pactus Alamannorum, etwa 100 Jahre später als Lex Alamannorum neugefasst, sie vermitteln einen Einblick in den Wandel der Standhebung ärztlicher Zeugenaussagen.
Im 8. Jh fassen die Langobarden, die salischen und ribuarischen Franken einige schon vorhandene Rechte neu. Es entseht das Baderrecht, zur gleichen Zeit wird, wahrscheinlich auf Anordnung Karls des Großen, das Recht der Sachsen, Thüringer, Chamaven und Friesen aufgeschrieben.
Während die Rechtsaufzeichnungen der süd- und mittelgermanischen Stämme im 6.Jh im wesentlichen ihren Abschluss finden, reicht die Gesetzgebung der Angelsachsen in fortlaufender Folge von 600 PC bis ins 11.Jh. Später als bei allen anderen Stämmen folgen die Rechtsaufzeichnungen der Nordgermanen (11.-13.Jh.).
Die nordischen Rechte der Isländer und der skandinavischen Völker haben sich trotz ihrer späten Entstehung ihre Ursprünglichkeit bewahrt, Die Aufzeichnungen der Germanen gerieten in Vergessenheit: im 10.Jh. sind sie auf dem Kontinent kaum noch bekannt. Neue Rechtsaufzeichnungen blieben spärlich.