Tagungsbericht

Bericht zur 37. Jahrestagung des Interdisziplinären Arbeits kreises für Forensische Odontostomatologie (AKFOS) 19.10.2013

Von Claus Grundmann, Duisburg

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37. Jahrestagung des Arbeitskreises für Forensische Odontostomatologie (AKFOS)

Am 19.10.2013 fand im Hörsaal der Klinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz die 37. Jahrestagung des Arbeitskreises für Forensische Odontostomatologie statt.

Bei der Begrüßung konnte der AKFOS-Vorsitzende, Prof. Dr. Rüdiger Lessig, Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Frankreich, Norwegen, Österreich, der Schweiz und Deutschland begrüßen.

Den diesjährigen Festvortrag hielt Prof. Dr. Walther Parson, Leiter der Abteilung für Forensische Molekulargenetik am Institut für Rechtsmedizin der Universität Innsbruck und seit 2009 Mitglied der Leopoldina -Sektion Pathologie und Rechtsmedizin- in Halle/Saale. Die Leopoldina wurde 1652 als Nationale Akademie Deutschlands gegründet und ist heutzutage eine der ältesten Wissenschaftsakademien der Welt.

Nach dem Vortrag zur Mundgesundheit von Friedrich Schiller, den Priv.-Doz. Dr. Wilfried Reinhardt, Universität Jena, auf der 36. AKFOS-Jahrestagung 2012 gehalten hatte, stellte Prof. Parson in diesem Jahr den “Schiller-Code” vor: eine molekularbiologische Untersuchung zu den in der Weimarer Fürstengruft befindlichen Schädeln bzw. Skelette.

Im Juni 2006 beauftragte Hellmut Seemann, Präsident der Klassik-Stiftung Weimar, Prof. Parson mit der Untersuchung der beiden in der Weimarer Fürstengruft befindlichen Schädel: beide wurden in der Vergangenheit dem Dichterfürsten Friedrich Schiller zugeordnet. Es ist ein uralter Streit: schließlich hatte der Anatom August von Froriep im Jahre 1911, d.h. 106 Jahre nach Schiller’s Tod, ein weiteres Skelett als das “echte” Schiller-Skelett bekanntgegeben: seither ruhten zwei “Schiller-Särge” in der Fürstengruft. Neuere Untersuchungen konnten jedoch zeigen, dass es sich bei dem von August von Froriep gefundenen Schädel um den von Luise von Göchhausen, einer Hofdame von Anna Amalia, handeln würde.

Parson erläuterte, dass bereits 1883 festgestellt wurde, dass die Gipstotenmaske des 1805 verstorbenen Friedrich Schiller mit dem Schädelabguss von 1827 nicht identisch war. Anhand neuerer genetischer Untersuchungen erläuterte Parson, dass keine verwandtschaftlichen Beziehungen der Fürstengruft-Skelette zu den drei Schwestern von Friedrich Schiller sowie zu seinen beiden leiblichen Söhnen vorlägen. Theoretische Möglichkeiten, dass Friedrich Schiller ein untergeschobenes Kind sei oder Schiller nicht der leibliche Vater seiner beiden Söhne sei, wurden von Parson ausführlich erläutert. Folgerichtig wurden die Skelettanteile aus dem Schiller-Grab entfernt, so dass nur noch ein Kenotaph übrigblieb. So liegt nun Johann Wolfgang Goethe alleine in dieser Gruft.

Im zweiten Teil der diesjährigen Jahrestagung standen die zahnärztlichen Begutachtungen im Vordergrund: während Dr. Karl-Rudolf Stratmann, Köln, eindrucksvoll über Gutachten im Zusammenhang mit Berufskrankheiten, berufsbedingten Zahntraumata, ungünstigen Behandlungsverläufen sowie das Ablehnen eines Gutachters wegen Befangenheit (mangelnde Objektivität, fehlende fachliche Kompetenz) referierte, stellte Dr. Björn Krämer, Mannheim, das Gutachterwesen der Primär- und Ersatzkassen sowie die Sachverständigen-Tätigkeit bei Gericht vor: er sprach sowohl über Planungs- als auch Mängelgutachten und berichtete über Beispiele aus der Praxis: “bitterer Geschmack einer Brücke”, “beim Zementieren der Krone 46 Zement auf die Zähne 31 und 41 getropft”, “Brückenversorgung auf 6 Implantaten”, “Ästhetik von 6 Einzelkronen” usw.

Anschließend erläuterte Dr. Dr. Claus Grundmann, Duisburg, die zahnärztlichen Identifizierungsmaßnahmen, die nach einem Verkehrsunfall in Ägypten durchgeführt wurden: im Dezember 2012 wurden beim Zusammenstoß zweier Minibusse sieben Personen tödlich verletzt worden - darunter vier Mitglieder einer Crew eines Deutschen Ferienfliegers.  Zahnmedizinische Vergleichsuntersuchungen der ante-mortalen Unterlagen (Zahnarzt-Karteikarten und Röntgenbilder) mit den post-mortalen Zahnbefunden -einschl. Röntgendokumentation- erlaubten eine zweifelsfreie Zuordnung zu den vermuteten Personen.

In einem weiteren Vortrag, der gleichzeitig durch eine Posterpräsentation unterstützt wurde, berichtete die Zahnärztin Franziska Laura Fritsch aus Frankfurt über den Einsatz der digitalen Volumentomographie bei der Altersbestimmung anhand einer von ihr durchgeführten in-vivo-Studie. Sie berichtete über 50 DVT’s von 12- bis 68-jährigen Personen, die sie mithilfe der VoXim-Software ausgewertet hatte.

Das Nachmittagsprogramm eröffnete Dr. Andreas Müller-Cyran, München, mit einem beeindruckenden Referat zum Thema: “Wenn aus Vermissenden Hinterbliebene werden: psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) in Katastrophen und Großschadenslagen”. Müller-Cyran, Rettungsassistent, Theologe und Psychologe hat als Gründer und fachlicher Leiter des weltweit ersten Kriseninterventionsteams (KIT) in München im Jahre 1994 reichhaltige Erfahrung mit der peritraumatischen Akutintervention: dem Aufbau eines hocheffizienten Netzes der Notfallseelsorge, Krisenintervention und psychosozialen Notfallversorgung für Menschen, die abrupt mit dem Tod konfrontiert worden sind: Überlebende von Unglücksfällen, Angehörige und Rettungskräfte.

Dabei unterscheidet er auch in Überlebende (die oft Ersthelfer sind), Augenzeugen (die oft zum Ersthelfer werden), Vermissende (die teilweise Augenzeugen sind) sowie Hinterbliebene und teilt die Zeit nach einer Katastrophe in Akutphase (Stunden), Übergangsphase (Tage) und Langzeitphase (Wochen bis Jahre) ein. Er betonte die Wichtigkeit, dass Vermissende regelmäßig Informationen - z.B. zum Stand der Bergungen etc.- bekämen. Das Leid um das “Nicht-Wissen” sei regelmäßig größer als das Leid “um’s Wissen”. Oft würden sich Schicksalsgemeinschaften von Hinterbliebenen bilden, die mitunter einer längeren Betreuung bedürften. Wichtig sei, dass Einsatzkräfte zu keinem Zeitpunkt mit Hinterbliebenen in Kontakt treten würden.

Im folgenden wurden vier AKFOS-Ehrenmitglieder ausgezeichnet, die dem Arbeitskreis für Forensische Odontostomatologie seit Jahren ihre Treue erweisen und durch aktive Mitarbeit zum Wohle des Arbeitskreises tätig sind:

 

Dr. Jean-Claude Bonnetain, Dijon/Frankreich

Dr. Dr. Jean-Marc Hutt, Strasbourg/Frankreich

Reiner Napierala, Aachen

Dr. Michel Perrier, Lausanne/Schweiz

Von links nach rechts:  Grundmann, Perrier, Bonnetain, Hutt, Napierala und Lessig

Mit eigenen Vorträgen stellten zwei der vier Ehrenmitglieder ihre derzeitigen forensischen Aktivitäten vor:

Dr. Michel Perrier berichtete über die Rolle der Fotographie in der Odontologie: anhand von Beispielen schilderte er die Bedeutung von Fotos und Filmen zur Personen-Identifizierung: die Unterlagen des Leibzahnarztes Dr. Hugo Blaschke zur Identifizierung von Adolf Hitler als historisches Beispiel sowie Melanie Thornton (Popstar; 1967-2001) und die Mitglieder der Sonnentemplersekte, die durch rituelle Mord- und Selbstmordhandlungen ihren Tod fanden.

Werbung ist in der heutigen Zeit auch für Ärzte und Zahnärzte von erheblicher Bedeutung. Ein Blick in die Medien belegt dies. Aber dürfen (Zahn-)Ärzte werben und wo sind die Grenzen? Auf diese ebenso aktuellen wie interessanten Fragen ging Reiner Napierala in seinem juristischen Vortrag ein: nach einem kurzen Rückblick auf die restriktive Rechtsprechung in der Vergangenheit verdeutlichte der Referent die vom Bundesverfassungsgericht vor etwas mehr als zehn Jahren eingeleitete Liberalisierung im Werberecht der (Zahn-)Ärzte. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.07.2001 (1 BvR 873/00): In dieser und in nachfolgenden Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht die durch Art. 12 GG geschützte Freiheit zur Außendarstellung betont und konkretisiert. Es wurde im Vortrag deutlich, dass auch (Zahn-)Ärzte werben dürfen und dass es insoweit nur zwei Grenzen gibt: Verboten ist allein irreführende oder sachlich unangemessene Werbung. Während das Irreführungsverbot eine allgemein anerkannte Grenze für jede Art von Werbung darstellt, nimmt das Verbot sachlich unangemessener Werbung Bezug auf die herausragende Bedeutung des ärztlichen Wirkens und auf das Vertrauen der Bevölkerung in die Qualität und Integrität der (Zahn-)Ärzteschaft. Beide Grenzlinien wurden in dem Vortrag sodann an Hand zahlreicher Beispiele aus der Rechtsprechung wie folgt verdeutlicht: Werbung mit akademischen Titeln (BGH, 18.03.2010, 1 ZR 172/08: „Master of Science Kieferorthopädie“); Werbung mit der Nähe zu Facharztbezeichnungen (BVerfG, 01.06.2011, 1 BvR 233/10: „Zahnarzt für Implantologie“); Werbung mit Zentren (BVerfG, 07.03.2012, 1 BvR 1209/11: „Zentrum für Zahnmedizin“); Internetwerbung (OLG Karlsruhe, 07.05.2012, 6 U 18/11: „Spitzenmediziner, Top-Experten, Koryphäen“; BGH, 01.12.2010, I ZR 55/08: „Zweite Zahnarztmeinung“; LG Köln, 21.06.2012, 31 O 767/11: „Groupon Bleaching“ für 69 € statt 169 €). Abschließend wagte der Referent die Prognose, dass die Liberalisierung im Werberecht wohl fortschreiten wird.

Dass nationale und internationale Anpassungen im Kontext von Katastrophenopferidentifizierungen regelmäßig erforderlich sind, verdeutlichte Kriminalhauptkommissar Attila Höhn vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden in seinem Vortrag: im Laufe des Jahres 2014 sei mit einer neuen Identifizierungssoftware sowie mit neuen Formblättern zu rechnen: dabei würde der Formular-Umfang reduziert, die bisherigen Dental-Codes ausgedünnt und zukünftig ausschließlich “markante”, d.h. auswerterelevante Codes verwandt. Zukünftig gäbe es mehr visuell relevante und weniger materialbezogene Bezeichnungen. Der bisherige Vergleichsbericht würde neu gestaltet und erstmals in primäre und sekundäre Identifizierungsmerkmale aufgeteilt. Aufgrund der bevorstehenden Änderungen seien für das Jahr 2015 gemeinsame Experten-Schulungen von BKA und AKFOS geplant.

Abschließend berichtete Kriminalhauptkommissar Heinz Lindekamp, Kreispolizeibehörde Wesel, über eine Familientragödie, die mit Verurteilungen der Angehörigen wegen Totschlags endete. Ohne die genauen kriminalpolizeilichen Ermittlungen wäre dieser Fall möglicherweise als alltäglicher Suizid gewertet worden: ein 80-jähriger Mann versuchte sich mit einer Waffe das Leben zu nehmen. Als dies nicht gelang, kam es zum Einsatz eines Insulin-Bestecks, um den begonnenen Suizidversuch mit einer Überdosis Insulin zu beenden. Als auch diese Massnahme nicht zum endgültigen Tod führte, wurden auf den Suizidanten durch ein Familienmitglied zwei weitere Schüsse aus naher Entfernung abgegeben. Medizinisch galt es zu beweisen und juristisch zu bewerten, dass der Suizidant zum Zeitpunkt des Nachschusses noch gelebt hat. Wie gesagt: ein nicht-alltäglicher Fall der Deutschen Kriminalgeschichte.

Bei der anschließenden Mitglieder-Versammlung berichteten die Vorstandsmitglieder über ihre vielfältigen Aktivitäten in den abgelaufenen 12 Monaten.

Prof. Dr. Lessig verabschiedete die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der AKFOS-Jahrestagung 2013 und lud gleichzeitig zum 38. Jahrestagung des Arbeitskreises für Forensische Odontostomatologie ein, die am Samstag, den 25.10.2014, im Hörsaal der Klinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stattfinden wird.

Dr. Dr. Claus Grundmann, Duisburg Sekretär

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