Tagungsbericht

Bericht zur 38. Jahrestagung des Interdisziplinären Arbeits kreises für Forensische Odontostomatologie (AKFOS)

Von Claus Grundmann, Duisburg

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38. Jahrestagung des Arbeitskreises für Forensische Odontostomatologie (AKFOS)

R.Lessig. E.de Valck, Y.Vermylen, C Grundmann, L. Figgener

Am 25.10.2014 fand im Hörsaal der Klinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz die 38. Jahrestagung des „Arbeitskreises für Forensische Odontostomatologie“ der „Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ (DGZMK) und der „Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin“ (DGRM) statt.
Die Tagung, an der Kolleginnen und Kollegen aus Belgien, Frankreich, Norwegen, Syrien und Deutschland teilnahmen, wurde vom AKFOS-Vorsitzenden, Prof. Dr. Rüdiger Lessig, Halle/Saale, eröffnet.
Zu Beginn der Veranstaltung erinnerte Prof. Lessig an den langjährigen AKFOS-Vorsitzenden und -Ehrenvorsitzenden Dr. Dr. Klaus Rötzscher, Speyer, der wenige Tage zuvor plötzlich und unerwartet verstorben war. Die Anwesenden erhoben sich von ihren Plätzen und gedachten Klaus Rötzscher, der mit den meisten Kolleginnen und Kollegen über viele Jahrzehnte freundschaftlich verbunden war.
Auch in diesem Jahr wurde durch den AKFOS-Vorstand der Gösta-Gustafson-Award verliehen: diesmal an zwei Belgische Kollegen, die sich seit mehr als vier Jahrzehnten mit der Forensischen Odontostomatologie beschäftigen:
Dr. Eddy de Valck, Beigem, und Dr. Yvo Vermylen, Boortmeerbeek.
In seinem Festvortrag berichtete de Valck über die Entwicklung der dentalen Forensik in Belgien: Die Anfänge lägen bei Charles the Bold (Karl I. der Kühne) (1433-1477), der versuchte die Bissspuren bei Adam und Eva einzuordnen. Bei einem Grubenunglück in einem Kohlenbergwerk bei Mareinelle war es 1956 zu einem Feuerausbruch gekommen: 262 Bergarbeiter -alle in der gleichen Arbeitskluft- kamen um’s Leben: Es sollte in Belgien die letzte Katastrophe sein, bei der keine zahnärztlichen Identifizierungsmaßnahmen durchgeführt wurden. Im Jahre 1967 kam es in Brüssel zu einem Kaufhausbrand, bei dem 323 Tote zu beklagen waren: es wurden die ersten dentalen Vergleichsuntersuchungen zu Identifizierungszwecken durchgeführt. 1971 folgte ein Flugzeugabsturz einer  „Vickers Vanguard“ der British-European-Airways (BEA) über Belgien. Alle 55 Passagiere und 8 Besatzungsmitglieder fanden den Tod. Zu deren Identifizierung wurden forensisch-odontologische Maßnahmen durchgeführt.
Die Geburtsstunde des Belgischen „Disaster Victim Identification (DVI) Teams“ lag im Jahre 1978, als auf einem Campingplatz im katalonischen Los Alfaques 217 Personen aus Belgien (18 Personen), Spanien, Frankreich und Deutschland um’s Leben kamen. De Valck erinnerte in diesem Zusammenhang auch an 8 Fehlidentifizierungen und deren dramatische Folgen für die Familienangehörigen.
Weitere Katastrophen mit Beteiligung des Belgischen DVI-Teams -einschließlich in der Forensik ausgebildeter Zahnärzte- war die Kenterung des Fährschiffs „Harald of free Enterprise“ vor Zeebrügge (1987) mit 193 Toten, zwei Explosionen (Eynatten, 1995, Brandkatastrophe in einer Autobahntankstelle mit 16 Toten, und Ghislenghien, 2004,  Unglück an einer Gaspipeline mit 24 Toten), Flugzeugabstürze (1995 und 2013) sowie Zug- (2010) und Busunglücke (2003 und 2012). International bedeutende Einsätze -unter Mitwirkung des Belgischen DVI-Teams- waren die Tsunami-Katastrophe in Asien (2004) und der Absturz der Boeing 777 der Malaysian Airlines über der Ostukraine (2014).
Aber auch Einzelfallidentifizierungen, beispielsweise die Opfer des Belgischen Mörders und Sexualstraftäters Marc Dutroux oder die des Belgischen Pastors und Serienmörders Andras Pandy, der seine Opfer zerstückelte, anschließend in Säure aufzulösen versuchte und die Überreste in die Kanalisation warf, sollten nicht unerwähnt bleiben.
Im Anschluss berichtete Prof. Dr. Walter F. Haupt, Köln, über die Diagnostik und Konzepte der Hirntoddiagnostik: er differenzierte -unter Berücksichtigung der primären Krankheitsursache- reversible von irreversiblen Hirnschädigungen und wies auf den Ausschluss einer möglichen Intoxikation hin. Grundlagen seien die 1982 vom wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer erarbeiteten Richtlinien sowie das im Jahre 1997 verabschiedete Transplantationsgesetz. Der Nachweis des Verlustes der Hirnfunktion erfolge durch den Einsatz der Elektroencephalographie, durch evozierte Potentiale, Perfusionsszintigraphie, Angiographie und/oder Dopplersonographie. Die Hirntoddiagnostik erfolge unabhängig durch zwei Ärzte. Die Ärzte, die die Hirntoddiagnostik durchführen, dürfen weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe des Organspenders beteiligt sein. Als Todeszeitpunkt gilt, wenn die letzte von vier erforderlichen Unterschriften beider Ärzte sich auf den Formularvordrucken befinden würde.
Prof. Dr. Dr. Ludger Figgener, Münster, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit dem neuen Patientenrechtegesetz und hinterfragte kritisch seine praktische Bedeutung, da das am 20.02.2013 verabschiedete Gesetz eine Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten bewirken soll. Er erinnerte eingangs an die drei Kardinalpflichten für (Zahn-) Ärzte: Sorgfalts-, Aufklärungs- und Dokumentationspflicht. Mit verschiedenen Urteilen (z.B. OLG Hamm 3 U 114/94: „Es gibt keinen kassenzahnärztlichen Standard“) und Zitaten bzw. Auslegungen der zahnärztlichen Berufsordnung („Therapiefreiheit heißt nicht Therapiebeliebigkeit“ und „Therapiefreiheit heißt aber immer Therapieverantwortung“) beleuchtete er die juristischen Aspekten der Heilkunde. Er erinnerte daran, dass die Patientenaufklärung nicht an (zahn-) ärztliches Hilfspersonal delegierbar sei und empfahl die üblichen Patientenaufklärungsbögen zu individualisieren; beispielsweise durch den handschriftlichen Zusatz: „Patient hatte keine weiteren Fragen.“ Der Referent betonte, dass ein Aufklärungsgespräch auch für ausländische Patienten verständlich sein muss. Bei Verwendung einer elektronischen Patientenakte muss bei Änderungen in jedem Fall der ursprüngliche Eintrag einschließlich des Änderungsdatums dauerhaft erkennbar sein. Seit 1978 hätten Patienten sowohl Einsichts- als auch Herausgaberecht ihrer Patientenakten; lediglich Kopierkosten seien von Seiten der Patienten zu tragen. Gleiches gelte für Röntgen- und computertomographische Aufnahmen.
Im Nachmittagsprogramm beschäftigte sich Oberfeldarzt Martin Ulbrich, Husum, mit „Fallstricken in der Implantologie“. Er wies darauf hin, dass dentale Implantationen in der Regel Elektiveingriffe seien und daher eine umfängliche Aufklärung mit Hilfe von Aufklärungsbögen erfordern würden. Als Standard würden heutzutage Messkugeln als Referenzhöhe, Bohrschablonen und im Unterkiefer das Verwenden von Gewindeschneidern gelten. Im Unterkiefer sollten dem Implantierenden die typischen lingualen Einziehungen im Bereich der fehlenden Zähne 36 bzw. 46 bekannt sein, um linguale Knochenperforationen zu vermeiden. Ebenso seien für Implantationen im zahnlosen Unterkiefer Erfahrungen im Weichteilmanagement erforderlich. Selbstverständlich würden zu einem „Implantat-Aufklärungsgespräch“ auch die Aufzeichnung von Alternativen -z.B. ohne den Einsatz von Implantaten- gehören.
Oberfeldarzt Christoph Hemme, München, schilderte in seinem Vortrag zum „aktuellen Sachstand zur Standardisierungsarbeit und Ausbildung in der militärischen forensischen Identifizierung in der NATO“ die Schnittstellen der Identifizierung beim Vergleich von Interpol und NATO. In beiden Institutionen erfolgten Personenidentifizierungen durch ante- und post-mortale Vergleichsuntersuchungen in den Bereichen „Fingerprints, DNA und Dental“. Inzwischen läge bei den europäischen Militärpartnern Konsens bezüglich einheitlicher Formulare und eine einheitliche Software für Identifizierungsprozesse vor. Für November 2014 sei ein Pilot-Lehrgang für militärische Angehörige der NATO in Norwegen geplant: unter Berücksichtigung von STANAG 2464 sollen in einem fünftägigen Kurs norwegische, niederländische und deutsche zahnärztliche Kolleginnen und Kollegen intensiv geschult werden.
Anschließend sprach Reiner Napierala, Leitender Ministerialrat im Düsseldorfer Justizministerium, über die Zugewinngemeinschaft während einer Ehe. Er schilderte die Rechtslage während bzw. am Ende einer Ehe unter den Aspekten einer mögliches Scheidung bzw. des Tods. Für 80 Prozent der in Deutschland geschlossenen Ehen würde das Prinzip der „Zugewinngemeinschaft“ gelten; die restlichen 20 Prozent würden sich auf „Gütergemeinschaft“ und „Gütertrennung“ aufteilen und einer notariellen Beurkundung bedürfen. Der Zugewinn würde -wie allgemein bekannt- aus dem Anfangsvermögen (bei Eheschließung) und dem Endvermögen (bei Trennung) bestimmt. Eine Vermögensveräußerung würde der Zustimmung des Ehepartners bedürfen. Laut Angaben des Referenten wird in Deutschland derzeit jede dritte Ehe geschieden – Tendenz steigend. Insofern wurden aus dem bei diesem Thema äußerst aufmerksamen Publikum zahlreiche Fragen gestellt. Ungeklärt ist, ob gewisse Eigeninteressen vorlagen.
Im letzten Vortrag der diesjährigen AKFOS-Jahrestagung sprach Dr. Andreas Müller-Cyran, München, über psychosoziale Konzepte im laufenden Einsatz und skizzierte, dass Einsatzkräfte keine Memmen sind. Der erfahrene Notfallseelsorger, Rettungsassistent und Theologe berichtete über die möglichen Einsatz-Belastungen, ausgelöst durch eine Vielzahl von Leichen, Wartezeiten, Schlafdefizite usw. Extrem belastend sei, wenn gleichzeitig Angehörigen-Kontakte stattfinden würden. Dies gelte es -wenn möglich- zu vermeiden. Ein Einsatz-Debriefing sollte auf jeden Fall nach jedem Einsatz stattfinden – jedoch nicht während eines noch laufenden Einsatzes. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass in den meisten Fällen nicht die Kompetenz der Einsatzkräfte entscheidend sei, sondern ihre Teamfähigkeit. Probleme würden ggf. auftreten bei der Rückkehr in’s familiäre Umfeld und/oder an den gewohnten Arbeitsplatz. Jeder DVI-Einsatz sei eine persönliche Herausforderung, bei dem am Ende ein Kompetenzgewinn und eine Stärkung der Persönlichkeit feststellbar seien. Wichtig für die Einsatzkräfte seien eine gute Ausbildung, das Wissen um Belastungsreaktionen und das Beherrschen von individuellen Techniken zum Stressabbau. „Emotionale Anästhesien“ und die Aufhebung des Zeitgefühls seien völlig normale Reaktionen. Abschließend betonte der Referent, dass Identifizierungseinsätze stets herausfordernd und psychisch belastend seien; jedoch nur in seltenen Fällen traumatisierend wirken würden.
Für die anschließende AKFOS-Mitgliederversammlung wurde Herr Dr. Karl-Rudolf Stratmann, Köln, als Leiter gewählt. Der AKFOS-Vorsitzende Prof. Dr. Lessig berichtete über den alljährlich im Frühjahr in Halle/Saale stattfindenden Kursus zur Forensischen Odontostomatologie sowie seine Teilnahme an der Jahrestagung der französischen Schwestergesellschaft (AFIO) in Orleans und am „20. World Meeting of the International Association of Forensic Sciences (IAFS)“ in Seoul/Korea. Dort wurde er im Oktober 2014 als “Editor of the Newsletter” in den IOFOS-Vorstand gewählt.
Der AKFOS-Sekretär berichtete ebenfalls über den Identifizierungs-Kursus in Halle/Saale sowie die Teilnahme an der Jahrestagung der Schweizer Schwestergesellschaft (FOCH). Er gab bekannt, dass er Ende Juli für zwei Wochen -im Auftrag des Bundeskriminalamts (BKA)- an einer internationalen Mission zur Identifizierung der Absturzopfer des MH17-Fluges der Malaysian Airlines in Hilversum/Niederlande teilgenommen hat.
Der AKFOS-Webmaster Dr. Stratmann demonstrierte anschließend die Zugriffe auf die AKFOS-Homepage: neben Zugriffen aus Deutschland seien auch regelmäßige Kontakte aus den USA und Brasilien festzustellen. Daher wurde von den Anwesenden einstimmig beschlossen zukünftig auch eine englisch-sprachige Version der AKFOS-Homepage anzulegen, um möglichst viele internationale Interessenten zu erreichen.
Die Entlastung des AKFOS-Vorstandes erfolgte einstimmig. Bei den anstehenden Neuwahlen wurden Prof. Dr. Rüdiger Lessig (1. Vorsitzender), Prof. Dr. Dr. Ludger Figgener (2. Vorsitzender) und Dr. Dr. Claus Grundmann (Sekretär) in ihre Ämter - bei jeweiliger Enthaltung des Kandidaten- einstimmig wiedergewählt.
Gleichzeitig haben die AKFOS-Mitglieder beschlossen den Vorstand um ein oder zwei Besitzerinnen/Beisitzer zu ergänzen. Das weitere Procedere soll auf der nächsten AKFOS-Jahrestagung festgelegt werden.
 
Prof. Dr. Rüdiger Lessig verabschiedete die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der AKFOS-Jahrestagung 2014 und lud gleichzeitig zum 39. Jahrestagung des Arbeitskreises für Forensische Odontostomatologie ein, die am Samstag, den 07.11.2015, in Frankfurt im Rahmen des „Deutschen Zahnärztetages 2015“ in Kooperation mit der „Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK)“ stattfinden wird.

Dr. Dr. Claus Grundmann
   -AKFOS-Sekretär-

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